"Gemeinsames Buchprojekt der besten Punkpoeten Deutschlands, die in altbewährter Manier die Schreibmaschine tief in die Wunde hämmern, wo Wikileaks aufhört: Böke, Herbig, Götterwind, Hintzen. Ein Meilenstein der Punkpoetry!"

undergroundpress.de

Wir kamen in Frieden

Punk-Poetry! 44 Gedichte wie Punk-Rock-Songs! Von traurig bis lustig, von Aggression bis Scheißegal-Gefühl! Ein Buch für die Jacken-/ Handtasche! Ein Wegbegleiter, ein Freund in schlechten Zeiten, ein Fotoalbum für die Seele, ein Herbststurm! Alters- und schichtübergreifend! Nicht nur für Punks ein Leseerlebnis! „Ich musste bei manchen der Gedichte sogar weinen, aber bei anderen durfte ich auch herzhaft lachen oder träumen.“ (Sandra C.)

(p-u-n-k.de)

Böke, Götterwind, Herbig, Hintzen kommen in Frieden

Wer Anfang der 1990er Jahre in seiner Lieblingskneipe ein gepflegtes Bier trinken, im interkulturellen Treffpunkt die Lokalmatadoren im Kickern herausfordern oder sich in der Justizvollzugsanstalt seines Vertrauens ein paar ruhige Stunden machen wollte, dem konnte es passieren, dass diese Horte der Geselligkeit seit dem letzten Besuch ihr Gesicht verändert hatten. Anlässlich eines in Berlin stattfindenden und mit dem romantischen Titel "Töte den Affen" versehenen Literaturfestivals hatten Thomas Nöske und Jörg A. Dahlmeyer mit Social Beat die Klammer um eine Literaturszene gelegt, welche sich sowohl thematisch als auch stilistisch an den US-amerikanischen Beat-Autoren, an modernen französischen Autoren, aber auch an deutschsprachigen Kapazitäten wie Fauser, Hübsch und (vor allem im CutUp-Bereich) Ploog orientierte und eine Alternative zum etablierten, sich elitär gebenden Literaturbetrieb darstellen sollte.

Das Durchbrechen der Hochkultur durch den Einzug von handfesteren Texten in den Alltag; Lesungen in Kneipen und Knästen, Festivals wie die über Jahre hinweg als Gegenveranstaltung zur feinen "Buchlust" im Kulturzentrum FAUST zu Hannover abgehaltene "Buchfrust", die neben Lesungen oftmals auch eine alternative Buchmesse und Konzerte zu bieten hatten. Eine Literatur fernab der Schreibkurse und Universitäten, fernab des stillen Kämmerleins und des benippten Wasserglases. Zeitschriften, Little Mags im Copy-Style, gefüllt mit Sex & Drugs & (oftmals auch) Rock’n’Roll, schossen wie spermatöse Pilze aus dem Boden. Baum und Traum, Herz und Schmerz hatten hier (zumindest als Reim) Sendepause bzw. Lokalverbot, der Ton war direkt und nicht selten sexuell aufgeladen, was bei dem einen ganz kuschelig, bei vielen anderen durchaus primitiv bzw. recht asozial rüberkam. Was die anderen können, Geschichten über Kneipen und Frauen, übers Arbeitsamt und Sex, über Fusel und Kotze schreiben, das kann ich auch – so dachten viele. Ein Trugschluss der dafür sorgte, dass viele Texte in der Nachahmung fremder Aggressivität stecken blieben wie der sprichwörtliche Karren im Dreck – einer der Gründe, warum die Bewegung nach und nach versandete und schließlich von der boomenden Slam Poetry-Fraktion aufgekauft wurde. Ni Gudix hat in ihrer Vorstellung des noch jungen Hard-mouth-Zines "Maulhure", nachzulesen in der Sommerausgabe der Zeitschrift "Die Brücke", eine treffliche Bestandsaufnahme geliefert: Die meisten SB-Zeitschriften ("Härter", "Cocksucker", "Der Störer", ...) sind Geschichte, andere haben einen thematischen Relaunch vollzogen und sind "seriös" geworden. Viele der damaligen Protagonisten sind mittlerweile von der Bildfläche verschwunden, man liest und hört nichts mehr von ihnen, doch einige sind noch präsent und produktiv: Kersten Flenter etwa, Hartmuth Malorny, Jaromir Konecny, Thomas Schweisthal (der in seiner PO EM PRESS, leider fernab des breiten Medieninteresses, feinste Literatur verlegt), Jan Off, Roland Adelmann, oder auch Henning Chadde, der als Kulturmanager und PR-Agent für Veranstaltungen wie den mit 1.200 Zuschauern ausverkauften Slam in der hannoverschen Oper verantwortlich zeichnet.

Ein weiterer "Überlebender", der sich und seiner Literatur in all den Jahren treu geblieben ist und den Kontakt zu den Weggefährten gehalten hat, ist Urs Böke, Herausgeber des bereits erwähnten Zines "Maulhure", der seit 1992 kontinuierlich Veröffentlichungen von (hauptsächlich) Lyrik in Fanzines, Zeitschriften, Anthologien und Tagespresse vorzuweisen hat. Nach mehreren Einzelbänden (zuletzt: "Das Land gefährden" im bereits erwähnten PO EM PRESS Verlag) erfährt er bei seiner aktuellen Buchveröffentlichung die Unterstützung von drei weiteren Autoren. "Wir kamen in Frieden", 2010 im Songdog-Verlag Wien erschienen, kommt als literarisches Quartett daher und enthält neben denen von Böke auch Gedichte von Jörg Herbig, Markus Hintzen und Jerk Götterwind. Dabei scheinen sich hier genau die Richtigen gefunden zu haben, denn die Texte passen zusammen wie Stulle und Nutella.

Urs Böke wird die Aufgabe zuteil, diesen Splitband zu eröffnen. Weder seine literarische noch seine geographische Heimat verleugnend, hat sich an seiner Schreibe im Laufe der Jahre erfreulich wenig geändert. Noch immer steht er an der Theke, noch immer die Erinnerungen an die Auswärtsspiele von Rot-Weiß Essen, an die Verflossenen, an die Nachmittage auf dem Fußballplatz, der Tod in wechselnden Facetten, aber immer mit dem gleichen hässlichen Gesicht. Ich muss zugeben, dass ich die ersten Gedichte von Urs Böke, auf die ich 1994 aufmerksam wurde, allesamt wieder und wieder lesen musste, um erst dann die Zartheit zu entdecken, die ihnen innewohnt. Seine Sympathie für die Außenseiter, die seiner Schutzlosigkeit vor dem Gefühl geschuldete Verletzlichkeit: „Keine Welten die ich dir geben kann / selbst der eigene Ort überfordert total“.

Von Jörg Herbig, wie Böke 1975 geboren, hatte ich bis dato noch nichts gelesen. Herbigs Gedichte sind auf Vers gebrochene Prosa, die ungekünstelt daherkommt. Auch er hält Rückschau auf Kindheit und Jugend (... / Später im Laufe des Tages stach mir / eine Packung Big Red-Kaugummis / ins Auge, und das Zimt-Aroma, das / sich beim Kauen auf meiner Zunge / ausbreitete, erinnerte mich augenblicklich / an meine Schulzeit, an alte Freunde, an / die großen Pausen und an Kristina, aber / auch an meinen gebrochenen Arm, als / wir gerade den Nationalsozialismus in / Geschichte durchnahmen und unser / Lehrer im Unterricht meinte, dass sich / zu seiner Zeit keiner hätte den Arm / brechen dürfen), auch er ist kritisch mit Staat und bürgerlichen Konventionen. Herbig gestattet sich eine üppige Portion Sentimentalität, schreibt von Beziehungen, von Liebe bis zur Selbstaufgabe, doch selbst damit schafft er es nicht, seine Gedichte kitschig oder verzärtelt erscheinen zu lassen.

Auch die Gedichte von Markus Hintzen bewegen sich eher prosaisch vorwärts, Antriebsfeder scheint einheitlich ein alles überlagerndes Hassgefühl zu sein, mit dem der Autor seiner Umwelt, der Gesellschaft und auch der eigenen Person begegnet. Trotzig-naiv kommt es daher, wenn er seine Texte mit „Ich will euch und eure scheiss / Welt nicht und ich habe sie nie / gewollt“ oder „Zur Zeit habe ich auf nichts Lust. / Nein, schlimmer, auf einige Sachen / hätte ich durchaus Lust, doch ich / kann mich nicht motivieren sie / anzugehen“ eröffnet. Nichts gegen Hass, Ablehnung, Trostlosigkeit, Aggression oder Resignation, allesamt durchaus Befindlichkeiten, die ich nachvollziehen kann, aber mit diesen Gedichten werde ich auch unter Aufbietung meines negativsten Denkens nicht warm. Sein disintegrierender Grundtenor mag ihm bei der Mitwirkung in den Punkbands DISANTHROPE und ATTENTAT in die Karten spielen – hier tut er es leider nicht.

Mit Jerk Götterwind schließt ein Autor dieses Buch, der wie Böke bereits so einigen Pferden des literarischen Untergrunds die Sporen gegeben hat. Götterwind, Herausgeber verschiedener Fanzines und Anthologien, Bullterrier-Freund, Sänger, Übersetzer (Jack Black: "Der große Ausbruch aus Folsom Prison", gemeinsam mit Axel Monte), etliche Einzelbände mit Gedichten und Kurzgeschichten, erzählt von Nächten mit künstlichem Licht, von Lesungen, der Entjungferung seiner Ohren durch Motörhead (Und als ich das Cover sah / Hatte ich nur den Wunsch / Eines Tages auch so / Unfassbar hässlich zu werden / Wie diese Männer), von einem von der 4. RAF-Generation träumenden Freund, vom Besuch einer Glaubensgemeinschaft und wie er die ungebetenen Besucher los wurde... Auch in Götterwinds Gedichten schlägt eine sentimentale Rückschau zu Buche, die Erinnerung an die Gier nach Abenteuer, an um die Ohren geschlagene Nächte, an Inter-Rail und einen dubiosen Unfall beim Holzhacken, der ihn beinahe das Leben gekostet hätte. Trotz größtenteils derber Thematik ist bei Götterwind immer Humor im Spiel – vielleicht Galgenhumor, aber Humor!

Stefan Heuer/ cineastentreff.de

Immer nahe am Abgrund!

WIR KAMEN IN FRIEDEN Poetry

ISBN: 978-3-9502890-4-6
Songdog Verlag

Runde zwei in der Betrachtung des Schaffens von Urs Böke. Diesmal etwas Aktuelles: aus dem Herbst dieses Jahres (2010) stammt die Kollaboration der vier Schriftsteller Urs Böke, Jörg Herbig, Markus Hintzen und Jerk Götterwind. Unter dem Titel “Wir kamen in Frieden” geben diese vier Autoren des deutschen Untergrundes Lyrik zum Besten, die es oftmals in sich hat.
Die Zusammenarbeit entstand anscheinend zum Einen durch ähnliche Lebensumstände – der Alkohol ist immer wieder Katalysator der Worte – und durch Überschneidungen der Ansichten, die aber jeder wiederum auf seine eigen Weise verarbeitet:
“[…]Doch was diese -unsere- Texte vereint, ist eine folgerichtige Konsequenz, die aus dem filterlosen Leben entstammt und mit schöngeistigen Metaphern durch Realität, durch Sichtweisen abseits von Mainstream und Slam bricht.”
(Vorwort, Urs Böke)
Den Anfang macht Böke selbst, der im direkten Vergleich zu “Das Land gefährden” hier wesentlich bedachter und auch in gewisser Weise geordneter vorgeht. War er im anderen Band noch ungehobelt, was die Struktur und die Lesefreundlichkeit angeht, so lässt sich hier klarer der Struktur folgen – daraus resultiert aber auch einfachere Konsumierbarkeit:
“[…] Eine Woche nach dem Börsenkrach
Versinkt die Welt in Neid und Missgunst
(seelenlos wie eh und je)
Krawatten hängen an Telefonen
Der Blutdruck steigt ins Unermessliche
Schweine fordern Staatshilfen
Während wir uns abfinden sollen
Mit Niedriglohn und engeren Gürteln [...]”
(Sieben Tage später, S. 17)
Dabei hat er sich gleichzeitig thematisch gewandelt und Konstanz bewiesen. Immer noch verzichtet Urs Böke fast vollständig auf Interpunktion zur Satztrennung, noch immer schreibt er drastisch, deutlich und auch mal polemisch. Die Sauf-Eskapaden scheinen immer noch durch seine Lyrik, nehmen aber nicht mehr jene zentrale Rolle ein, die sie noch zuvor inne hatten. Thematisch sind seine Gedichte in zwei Arten zu teilen: zum Einen Erinnerungen an Früher (‘Kindheit 1984′, ‘Theke 1998′, ‘Post aus Heidelberg’), zum Anderen abermals nüchterne Beobachtung seines Umfeldes und die daraus resultierende Schlussfolgerungen (’3:11′, ‘Horrinnerungen’, ‘Notiz am Rande’). Dabei bleibt er nach wie vor meist greifbar und realistisch; manchmal bricht er aber auch in metapherlastige, feine Sprache aus, die wirklich wunderschön und tragisch zugleich sein kann wie in “Häute zu Glas”, dem meiner Meinung nach stärksten Gedicht von Böke in diesem Band:
“[…]Beschwichtigen und rühren auf
Ich flüchte in Liebe die neu ist doch rostet
Die Scherben hautnah
Wecken Erinnerungen die alt sind und Dortmund
Als wir jung waren und irgendwie schlesisch
Die Scherben hautnah
Kitzeln am Schorf und lassen uns bluten.”
(Häute zu Glas, S. 15)
Den Anschluss macht Jörg Herbig, der ebenfalls wie Böke in der ambulanten Behindertenhilfe arbeitet; mehr Informationen lassen sich zu ihm kaum finden. Aber in diesem gemeinsamen Umfeld lässt sich wohl der Grund für die Zusammenarbeit finden.
Herbigs Gedichte sind im Grundtenor positiver als zuvor noch Bökes. Zwar findet er sich genauso in der Realität, wirklich expressionistische Anflüge sucht man hier aber vergeblich. Es geht um Situationsbeschreibung, um die Umwelt. Dabei spielt Herbig jedes Mal ein Spiel mit dem Leser. Er beschreibt eine Szenerie, einen Blick, eine Erfahrung, nur um Ende wieder von der ungetrübten Wirklichkeit eingeholt zu werden und der Realität ins Auge zu blicken zu müssen:
“Aufgewacht in einer
Wohnung voll Staub
Und Essensresten
Einer Stätte der still
Und heimlichen
Verrottung
Mit Schimmel
Und Spinnweben
[…]
Egal –
Hauptsache
Wieder
Zu Hause.”
(Sonntagmorgen, S. 30)
Leider muss man aber feststellen, dass Jörg Herbig sich zu gern auf abgenutzte Metaphern (Bsp.: “Ich spreize Meine Flügel / Und wage den Sprung“) ausruht, die zwar immer wahr und auch treffend sein mögen, aber leider ebenso abgedroschen wirken. Zum großen Teil wirken seine Gedichte noch zu zahm, zu allgemein, zu wenig klingen sie nach individuellem Empfinden. Das ist schade, denn sprachliche Versiertheit kann man Herbig durchweg attestieren, wie man beispielsweise in “Enttäuschte Träume” lesen kann, das auf ungeheuer knappe Weise von einer ganzen Gefühlswelt erzählt – und dafür nur 13 Worte braucht:
“Komm
Lass
Uns
Über
Sportergebnisse
Reden
Während
Unser altes Herz
Im
Schraubstock
Verblutet”
(Enttäuschte Träume, S. 29)
Als Dritter im Bunde gibt sich Markus Hintzen die Ehre, und liefert zugleich das Highlight des Buches. Hintzen spielt, wie der noch folgende Jörg Götterwind auch, in der Punkband Disanthrope, und davon abgesehen noch in der Hardcoreband Attentat und dem Elektroprojekt Synapsenfick. “Anarchist. Veganer. Humanistischer Misanthrop.” –das sagt seine Kurzbiographie, und die hat damit keineswegs Unrecht.
“[…] Was für ein Schwachsinn.
Doch wahrscheinlich gibt es
Irgendwo auf dieser Welt noch
Einen oder mehrere ganz hippe
Kunstfreaks oder schlimmer noch,
Literaturwissenschaftler,
die darin noch einen tieferen Sinn
und ein ‘was der Autor damit
ausdrücken wollte’ entdecken.
Strengt euch nicht an, ich verrat’s
Euch auch so:
Geht sterben!”
(Literatur, S. 39)
Markus Hintzen ist wirklich eine Entdeckung. Seine Sprache liest sich dreckig, bitter, selbstironisch, polemisch und vor allem direkt. Zu einem großen Teil beschreiben die Gedichte das Gefühl des Hasses. Jedoch ohne plumpe Verherrlichung, sondern immer vollkommen bewusst um dessen Einseitigkeit, und letztlich dessen Unsinn im größeren Kontext:
“Ich merke, wie meine
Stimmung anfängt zu kippen.
Eben wollte ich eine
Ganze Seite nur mit dem
Wort Hass vollschreiben
Und jetzt merke ich, wie
Dieses Gefühl in sich
Zusammenbricht
[…]
Vielleicht
Gehe ich jetzt besser
Schlafen.
Dann ist morgen hoffentlich
Wieder ein Tag voller Hass.”
(Ein schöner Tag, S. 35)
Die Stärke, die Markus Hintzen für mich ausmacht, liegt in der Unmittelbarkeit, dem Direkten, das allen Gedichten innewohnt. Nicht nur einmal musste ich beim Lesen bitter lachen, denn diese unverblümte Sprache, dieser Hass wirkt teilweise so überzogen, aber spricht doch wirklich aus dem Herzen des Autors. Das wahre Dilemma, aber auch die Faszination findet sich genau hier begründet: denn der Autor weiß ganz genau, wie irrelevant, oder auch lächerlich derart überzogene Misanthropie klingt; dennoch kommt sie aus dem vollen Verlangen seines Gefühls, drängt nach Außen – das merkt man jedem Wort und jedem Gedicht an! Klasse!
“[…]
Mal ehrlich:
Das Fegefeuer wäre nicht die
schlechteste Alternative.”
(Fegefeier, S. 40)
Den Abschluss macht Hintzens Bandkollege Jerk Götterwind (was für ein Name!), der in seinem Viertel ein Sammelsurium von Suff-Fetzen und Erinnerungen beisteuert. Götterwind kann auf etliche Publikationen und viel Material zurückblicken, was man seiner Sprache auch anmerkt. Hier kommt die Wichtigkeit des Alkohols am meisten zu tragen; fast alle seiner Gedichte klingen wie Erzählungen, die so nur mit angehobenem Alkoholpegel geschehen.
“[…] Noch jetzt muss ich grinsen
Wenn ich daran denke
Wie mein Frau den Behörden
Erklären müsste wie ich mir selbst
Den Gar aus machte
Mit der Axt im Rücken”
(Das ging fast daneben, S. 49)
Götterwind schwankt in seinem Viertel, und auch innerhalb der Gedichte selbst, zwischen schwarzem Humor und dem menschliche Abgrund, der immer hinter Allem steht. Immer erscheint die Schönheit, die Erfahrung des Angenehmen ambivalent mit dem Schatten, den es wirft:
“[…] Wir waren jung
Wir waren unterwegs
Wir waren unsterblich
In diesen Jahren
Kurz danach
Sollte sich das ändern”
(Als es noch das Inter-Rail-Ticket gab, S. 50)
Wie alle anderen Gedichte in diesem Band schreibt auch Götterwind direkt; das Subjekt kann man nie vom Autor trennen. Es sind Sätze, die über Zeilen springen, welche ganze  Geschichten beinhalten, und nur durch die Absatztrennung gestalterische Ordnung gewinnen. Ob es nun um den Tod eines Nahestehenden (‘Gedenken nach 20 Jahren’), einen ungünstigen Unfall (‘Das ging fast daneben’) oder die ersten musikalischen Erfahrungen (‘Motörhead’) geht; immer werden Geschichten erzählt, die ebenso gut Seiten füllen könnten. Vielleicht kommt es durch die musikalische Vorprägung, aber einige der Gedichte könnten mit ihrem Strophe-Refrain-Schema auch durchaus als Lieder funktionieren:
“[…]Die Rasierklinge liegt noch immer
Am Rande der Badewanne
Man weiß ja nie
Mit meinem Vorrat an Betablockern
Und Antidepressiva könnte ich
Eine Kleinstadt mit
In den Tod nehmen
Ansonsten
Alles wie immer. […]”
(Alles wie immer, S. 48)
Leider lässt sich aber auch eine Schwäche in Götterwinds Werken finden. Denn so spannend oder skurril (‘Der letzte Besuch einer Glaubensgemeinschaft bei mir zuhause in Rüsselsheim im Jahre 1992′) seine Texte sein mögen; zwar sind Gedichte wie eben ‘Mötorhead’ oder ‘Gedenken nach 20 Jahren’ absolut verständlich und nachvollziehbar, können aber trotz sprachlicher Qualität die Thematik kaum aufwerten – und die bleibt leider recht alltäglich wie trivial. Natürlich nicht für den Autor, aber es hätte dafür kaum diesen Rahmen gebraucht. Am schwierigsten wird das im ebenfalls auf dem Einband gedruckten “Manchmal hat man den Eindruck”, denn hier liegen flache Kritik und schöne Erkenntnis nah beieinander:
“Manchmal hat man den Eindruck
Jedem als Killerspiel gebrandmarkten
Game liegen Schulpläne als Bonus bei […]”
Entgegen der letzten Strophe:
“[…] Und
Manchmal hat man den Eindruck
Die Kugeln stoppen nicht nur Leben
Sondern für einen kurzen Moment auch die Kälte
Die
Für alles verantwortlich ist.”
Fazit:
“Wir kamen in Frieden” fordert, bringt zum lachen, reißt herunter, aber lenkt den Blick auch wieder auf die Schönheit zwischen all dem Schrott. Obschon sich zwischen den Gedichten einige Ausfälle befinden, liefern alle Autoren hier spannende und klare Aussagen ab, die nur jenseits der Mainstreampublikationen funktionieren und es genau dafür auch wert sind, gelesen zu werden. Gesondert hervorheben möchte ich Markus Hintzen, der mich mit seinen Gedichten vollkommen überzeugte, und auf dessen weitere Arbeiten ich schon gespannt bin!
-kulturterrorismus.de

 

Zum Monatsende ein Reader mit kräftigem Individual-Protest. Urs Böke, Jörg Herbig, Markus Hintzen und Jerk Götterwind gaben 2010 einen Gedichtband heraus. Die Autoren schreiben gegen den täglichen Beschiß, eine zunehmend sterile Gesellschaft und gegen das Gefühl, fest zu stecken. Lyrik, die in ihrer knappen Diktion u.a. an Bukowski geschult wirkt. Der Titel klingt wie eine Drohung: "Wir kamen in Frieden" ... Das "aber jetzt..." denkt sich der Leser. Er stößt in den narrativen (= erzählerischen) Kurz-Texten auf Befindlichkeiten und Alltags-Situationen von Autoren, die sich kein X mehr für ein U vormachen lassen. Gefährlich, denke ich, sind Dichter, die die Sprache beim Wort nehmen UND sich darüber im Klaren sind, daß Sprache GEMACHT ist: anerzogen, vor-programmiert. Die Erziehung zum "guten Staatsbürger" geht immer den Weg über die "richtige" Sprache. Ich halte Böke &&& für hochgradig pnc = political non-correct. Was mir sympathisch ist. Eine Garantie für meine Einschätzung kann ich nicht geben. * Hintzen und Götterwind sind Mitglieder der 'misantropical peace punx'-Band DISAN-THROPE. Einige der Gedichte kann ich mir auch als Song-Texte vorstellen, z.B. "Wir schlagen uns die Nächte um die Ohren", "Alles wie immer" von Götterwind, "Jeden Tag" von Hintzen. * Auf Bökes Website wies ich bereits in einem früheren Blog hin; Jerk Götterwinds Home-page http://jerkgoetterwind.jimdo.com/ finde ich spannend und "interessant", auch wenn ich selber kein Tierschutz-Aktivist bin. Herbigs Website scheint noch im Aufbau; auf Markus Hintzen stoße ich unter http://noeasylistening.blog.de/2010/11/21/spezial-urs-boeke-joerg-herbig-markus-hintzen-jerk-goetterwind-kamen-frieden-10016672/. * Zurück zum Buch: 60 Seiten hart und schnörkellos im Songdog Verlag (Wien), isbn 978-3-9502890-4-6. 
Raimund Samson