Wieder ein Meisterwerk einer der besten lebenden Dichter, wenn nicht sein Meisterwerk. Bökes Dichtkunst lässt sich kaum beschreiben, deshalb lass ich es mal lieber, was auch einfacher ist. Auf jeden Fall ist die Aufmachung verdammt edel, handgedruckt und in limitierter Auflage.


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EINE HINRICHTUNG IRGENDWO - NEUE GEDICHTE VON URS BÖKE

 

Es gibt Paare, die gehören einfach zusammen, der eine ist ohne den anderen schlicht und ergreifend nicht denkbar. Hat man den einen im Kopf, denkt man automatisch auch an den anderen: bei Miss Marple und Mr. Stringer ist das so, ebenso bei Cheech und Chong, Spirou und Fantasio, Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir und Stephan Derrick und Harry Klein.

 

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Paarbildung folgt, so sagt der Volksmund, den widersprüchlichen Grundsätzen, dass sich entweder a) Gegensätze anziehen oder aber b) sich gleich und gleich gerne gesellt. Als ich vor kurzem "Eine Hinrichtung irgendwo", den neuen Gedichtband von Urs Böke in die Hände bekam, war ich mir nicht sicher, welchem dieser beiden Grundsätze ich dieses Buch zu verdanken habe. Meine Überraschung lag vor allem darin begründet, dass es in der footura black edition des Itzehoer Künstlers Karl-Friedrich Hacker erschienen ist, denn bis dato hatte ich die beiden künstlerisch nicht in Zusammenhang gebracht. Auf den ersten Blick erschien es mir, als greife hier die Theorie der sich anziehenden Gegensätze, sind Böke und Hacker doch für recht unterschiedliche Dinge bekannt: Auf der einen Seite Urs Böke, ein dem Social Beat entstammender und mit ebensolcher Bio- und Bibliografie ausgestatteter Autor aus Essen, Herausgeber der inzwischen eingestellten und durch die Maulhure beerbten Literaturzeitschrift Ratriot (die ihr Erscheinungsbild vor allem den seitenfüllenden Bilder-Collagen verdankte, die in der Regel abgerissene Gliedmaßen, entstellte Gesichter, Nacktheit und Krieg zeigten und damit nichts für Leute mit schwachem Magen oder "seriösen" Kunstansprüchen waren), Verfasser von vier eigenständigen Gedichtbänden und zahlreichen Kollaborationen, kritischer hard-mouth an vielen Fronten – und auf der anderen Seite Karl-Friedrich Hacker, Mail-Artist (mit seinem bereits bis zur Ausgabe 70 gereiften A4-Assembling El mail Tao), passionierter und filigraner Linolschnitzer und -drucker und als solcher Illustrator zahlreicher Künstlerbücher, die (oftmals in Zusammenarbeit mit Theo Breuer) in Hackers Edition Bauwagen erschienen/erscheinen.


Böke und Hacker, zwei ambitionierte, seit vielen Jahren konzentriert an ihrem Werk arbeitende Künstler, die nun mit "Eine Hinrichtung irgendwo", dem bislang achten Band der footura black-Lyrikreihe, gemeinsame Sache machen und eine mehr als ansehnliche Schnittmenge gefunden haben. Karl-Friedrich Hacker kredenzt dem um einige Jahre jüngeren Autor einen von ästhetischem Gespür und handwerklichem Können geprägten Rahmen, wie er nicht besser zu Bökes Gedichten passen könnte: zwischen einem aus schlichtem grauen Karton bestehenden Einband finden sich 32 handgebundene Seiten, handgesetzt aus der schönen Candida, das Ganze limitiert auf 50 nummerierte Exemplare. Eine mehr als hochwertige Ausstattung, eine optische als auch haptische Wonne, in die sich die neuen Gedichte von Urs Böke konsequent einfügen.

Worüber ich mich bei der Lektüre von Bökes Gedichten am meisten freue, ist die Tatsache, dass sie Buch um Buch tatsächlich immer besser werden (was man nicht von jedem sagen kann), stärker im Bild, im Ausdruck, dass sie immer mehr an Form und (auch inhaltlicher) Fülle gewinnen, dass er die Bierflaschen aus seinen 90er-Jahre-Gedichten immer noch auftauchen lässt, dass er heute jedoch in der Lage zu sein scheint, Verzweifelungen und Zweifeln und Ängsten eine große Portion Kampfesmut, Ironie und Würde entgegenzubringen und eine Zartheit zuzulassen, die ihn dazu veranlasst, die Gedichtes dieses Bandes gar als das zu benennen, was sie sind: Liebesgedichte, ohne wenn und aber.

MISS & FOLGE

Die Orte an denen ich ohne dich war
waren nicht anders als die Orte an denen
ich versuchte mit dir zu sein

Eine Atlantikwallwelle im Sommer
ein Pilzsammlerwald tief im Osten
ein Geschützturm mitten im Leben

Die Orte die ich kenne kanntest du nie
was du nicht kanntest verbarg ich im Bier
Nächte voller Orte ohne Ziel und ohne Straßen
Nächte voller Worte ohne Ziel und ohne wir

Eine Betäubungsmaschinerie ohne Laufzahl
eine Thekenhockervergangenheit ohne Erfolge
eine überschrittene Demarkationslinie ohne UN

Die Orte an denen ich ohne dich war
waren nicht anders als die Orte an denen
wir versuchen gemeinsam zu sein

Als Tim Pope 1987 mit The Cure das Video zu "Why Can’t I Be You?" gedreht hatte, sagte er in einem Interview: “This is it! The video I’ve always wanted to make. The Cure dancing – I can’t believe seeing this. They’re finished!” Nun, erledigt oder gar fertig waren der tanzende Robert und die anderen Bandmitglieder keinesfalls, ganz im Gegenteil möchte man meinen, nahmen sie doch nur zwei Jahre nach "Kiss Me Kiss Me Kiss Me" das beeindruckende "Disintegration"-Album auf. Und auch Böke ist noch lange nicht erledigt oder gar fertig. Vielmehr ist von ihm noch Einiges zu erwarten – wenn auch, aller Wahrscheinlichkeit nach, kein Videoclip, der ihn als tanzenden Käfer zeigt.

Stefan Heuer/ cineastentreff.de




Eine Perle daraus
ist Urs Bökes neuer Gedichtband „Eine Hinrichtung irgendwo“. By the way, für mich gehört Böke zu den Top-Lyrikern weltweit...
Roland Adelmann

Ein Dichter aus China kritisiert das System seines Landes und erhält dafür den Friedensnobelpreis. Seine Worte werden weltweit gelesen. Der Staat bemüht sich, ihn zum Schweigen zu bringen, setzt ihn unter Druck, sperrt ihn als subversives Element in den Knast. Er verstummt nicht. Er hat eine Vision. Er macht weiter. Die internationale Presse reagiert solidarisch, stellt sich auf seine Seite, druckt seine Schriften.

Und doch schlägt in ihm das Herz eines Schriftstellers, nicht das eines Revolutionärs. Er muss schreiben, braucht das Schreiben, liebt das Schreiben. Keine Repression ist einschüchternd genug, um ihm das Schreiben ein für alle Mal auszutreiben.

Er spürt, er ist nicht allein. Er hat Unterstützer auf der ganzen Welt: engagierte Unterstützer, einflussreiche, mächtige, enthusiastische Unterstützer – und vor allem viele Unterstützer.

Er braucht den Ruhm nicht, aber er will gehört werden. Vollkommenes Ausbleiben von Reaktionen ist für einen Schriftsteller eine der härtesten Prüfungen.

Wir leben in einer Demokratie und genießen Freiheiten, die allgemein als Freiheit gelten. Die Lebensbedingungen sind offiziell gut. Es ist verhältnismäßig ungefährlich, ein Buch mit systemkritischen Gedanken herauszubringen.

Es ist beinahe langweilig, so einfach ist es.

Kaum Gründe, warum Presse und Leser einen unbekannten Schriftsteller fördern sollten, nur weil er laut mitdenkt. Keine Berechtigungsgrundlage, ihm deswegen einen Nobelpreis zu verleihen, so wahr und wichtig seine Worte vielleicht auch sein mögen.

Urs Bökes Vorstellung von Frieden scheint, seinem neuesten Gedichtband zufolge, dem Aussterben der Menschheit gleichzukommen. Mit kritischem, teilweise schon skeptischem Blick beobachtet er Land und Leute und drückt sein Unverständnis aus. Gleichzeitig kommt er nicht von ihnen los, hängt auf paradoxe Weise an ihnen, schenkt den Menschen seine Zeit und Aufmerksamkeit, gesteht ihnen ihre Unzulänglichkeiten zu, verzeiht ihnen, opfert sich auf, kämpft, liebt, widmet ihnen ein Gedicht, verleiht ihnen Bedeutung.

Keine Phrasen und Parolen, mit denen er hantiert, vielmehr echtes Leben, reimfreie Reflexionen, Zeitraffer.

Wer ist Nadine? Wie geht es ihr? Lebt sie noch?

Nadine wird dem Leser im Gedächtnis bleiben, nachts wird er wachliegen und sie vermissen, an sie denken – wie an eine verflossene Liebe oder beste Freundin.

Der Untertitel des Buches sagt es bereits: Hier handelt es sich um Liebesgedichte.

Meine anfängliche Vermutung, Urs Böke meine es ironisch und warte stattdessen mit dem genauen Gegenteil auf, bestätigt sich nur zum Teil: Es sind keine Liebesgedichte über den Glanz von Augen, die Form von Lippen, den Klang einer Stimme, sie schmeicheln nicht, sind selten als Liebesgedichte sofort erkennbar.

Urs Bökes Gedichte erzählen nicht von Verliebtheit, sie widmen sich jener Liebe, die nach dem Verliebtsein kommt – der fatalen Liebe mit all ihrer Kompliziertheit, ihrer Stärke, ihrer Gnadenlosigkeit, ihren Widersachern.

Dabei bezieht er sich neben verschiedenartigsten Beziehungen zwischen Menschen auch auf das zwiegespaltene Verhältnis zur eigenen Stadt, zu einstigen Träumen und Hoffnungen, zum System, zur Gesellschaft.

Stellenweise fühlt es sich an, als würde der Leser heimlich in einem fremden Tagebuch lesen, in dem über ihn selbst etwas geschrieben steht.

„Eine Hinrichtung irgendwo (In diesen Nächten & andere Liebesgedichte)“ lädt ein, über die Protagonisten, ihre Irrwege und Triebfedern, aber auch über den Autor und seine Metaphern nachzudenken.

 

Jörg Herbig

Ich hab die Rezi ständig vor mir hergeschoben, denn ich weiß nicht was ich schreiben soll.
Mensch Urs, da sind so geniale Texte drin – "In diesen Nächten I - V" - zum Niederknien.
Eine Rezension muss ich wohl etwas gediegener angehen, oder? Wenn es mehr solcher Dichter wie Böke gäbe (okay, ein paar haben wir noch, aber nicht genug), bräuchten wir uns keine Sorgen mehr zu machen, dass Dinge nicht ausgesprochen oder geheim gehalten werden. Keine Wunde ist offen genug, als dass nicht noch ein wenig mehr darin herum gefuhrwerkt werden könnte.
Wie beim Eisberg, der die Titanic bezwang, der größte Teil unter der Oberfläche lauerte, warten Bökes Worte um im richtigen Moment das ganze faule Fleisch sichtbar zu machen und zu zeigen, dass es eben nicht so ist – nicht so heil, nicht so gut. Und doch habe ich immer den Eindruck (der durchaus täuschen kann), dass da dieser Hoffnungsschimmer ist, der sich trotz allem durch die Gedichte zieht. Ein glimmender Funke nur, aber immerhin.
In CD-Größe, Einband aus Karton, Handgesetzt, 50er Auflage, mit Fadenbindung.

 

Jerk Götterwind