"Für starke Nerven! Dabei versteht es Böke allerdings auch, Jargon mit Klischees und schiefen Bildern zu kombinieren. Beobachtungen in einer auf Schmerzen reduzierten Wirklichkeit...vielleicht ist aber auch der Sarkasmus die entscheidende Perspektive. Die Sprache ist geballt mit drastischer Melancholie und der Alkohol hat jegliche Sinnerwartung verdrängt. Lesenswert..."
KULT

"Bökes Geschütz hat ordentlich Feuerkraft. Seine Sprache verstört, tut weh, reißt mit. Die Welt ist nicht nur im Ruhrpott verdammt grau, ätzend und pervers, ist bevölkert von verkorksten Existenzen, die durchs Leben fallen wie verfaultes Obst vom Baum. Die Gedichte vereinen Resignation, Wut, Hoffnung, eine gute Portion Ekel vor der Menschheit und auch eine Ecke Durchhaltevermögen. Da ist einer, der nicht im Benz durchs Armenviertel fährt, sondern der weiß, wovon er schreibt. Für mich ist Böke einer der stärksten aktuellen deutschen Schreiber, auch wenn er das vielleicht gar nicht hören will..."
OX Fanzine

"Zornig und kompromisslos schreibt er sich um sein Leben. Seine Gedanken fräsen sich ins Gehirn wie eine besoffene Flex und zersägen die Realität in unverdauliche Stücke. Gedichte, die kaum Hoffnung kennen, aber trotzdem auch viel Zärtlichkeit in sich bergen. Geheimtipp!" (über Das Land gefährden)
"Gedichte, die unter die Haut gehen und mit Krebs drohen!" (über Störung Mensch)
Rodneys Underground Press

“Urs Böke, geboren und aufgewachsen in Essen, arbeitet an der Kreissäge.” Treffender könnte man seine Lyrik wohl kaum beschreiben. Schneidend, laut, dreckig und manchmal ziemlich gefährlich drängen sich seine Gedichte in den Kopf, nach nur kurzer Wirkungszeit & ohne Vorwarnung.
“[…] der letzte Schluck läuft mir
hustend in de Magen
gleich werde ich nachladen
und bei Gott
ich werde Rehkitze erschießen
und die Pfaffen morden
wenn die Welt mich lässt.”
(Seit etlichen Strichcodes, S. 30)
Böke veröffentlicht seit nun 18 Jahren konstant seine Texte im deutschen Untergrund, etliche Beiträge in kleinen Zeitschriften, Fanzines und ähnlichen Formaten. Seit 1995 ist er ebenfalls Herausgeber des Literatur-Fanzines Ratriot, laut eigener Aussage gegründet “weil alle anderen Zeitschriften so schlecht sind.” Untergründig, idealistisch und subversiv; Böke meidet den Hochglanz nicht aufgrund von fehlendem Können, sondern als Statement.
In dem vorliegenden Band “Das Land gefährden” bleibt er dabei in bester Bukowski-Tradition: immer vom Alkohol geschwängert, verarbeitet er die Impressionen, die ein Leben in der grauen Stadt, zwischen Tresen, Mediengehirnwäsche und Plattenbau auf ihn machen. Ein Leben, das zwischen dem stumpfen Rausch und literarischem Können gefangen ist, dass sich aber auch genau aus diesem Verhältnis speist. Die Trivialität des Lebens, kleine Ereignisse, die zu nüchtern-bitteren Erkenntnissen über die Umwelt führen; all das wird aufgegriffen, auf ein Minimum an Sprache reduziert und wieder ausgespuckt.
Seine Gedichte sind im Grunde komprimierte Kurzgeschichten, ohne wirklichen Anfangs- oder Endpunkt, sondern Ausschnitte eines Lebens, Anekdoten, die manchmal zu einer Erkenntnis führen; oftmals gleichzeitig essenziell wie trivial. Dabei wird fast gänzlich auf Interpunktion verzichtet, um eine wirklich ungedeutete, ungesteuerte Sicht auf seine Gedanken zu erzeugen. Ohne jeden Halt fallen die Worte von Zeile zu Zeile, Absätze und Strophen sind inhaltlich kaum klar getrennt; die Ordnung ergibt sich nur auf dem Papier, nicht im Wort. Es wird zwischen den Zeilen gesprungen, Sätze enden abrupt oder greifen ineinander; der Leser ist gefordert, seinen eigenen Rhythmus in seine Worte zu legen:
“[…] Anderen so nah kommen zu wollen jede Haut auf
meiner bereitet mir endlose Schmerzen das zu verhindern
ist mir Eros zu arglos zu unwichtig als das Sperma Schmier-
stoff sie dies einmal zu ändern in mir keine Mechanik und
auch kein Motor jede Anstrengung ist mir zuviel die […]”
(Anyway Blues, S. 33)
Oftmals werden Zitatschnipsel oder Fakten des Alltags mit der Sprache verwoben, die, aus ihrem eigentlichen Kontext gerissen, seinen Gedichten noch mehr Authentizität verleihen. Die Texte sind selbst erlebt, sie sind real, haben so stattgefunden; die Trennung zwischen dem lyrischen Ich und dem Autor ist also kaum noch gegeben, er bleibt glaubhaft und direkt:
“[…] aber er lässt einfach
nicht locker
packt mich an die Schulter
und erzählt mir
was von Böll
von Böll oh Scheiße!
und er geht und geht
und geht nicht weg
bis ich sage Okay
du Affenhirn laß uns
mal kurz vor die Tür
aber die Bedienung
hat aufgepasst geht
mit zwei Freidrinks
dazwischen und stellt
Burgfrieden her; […]”
(Böll hat an der Theke nichts zu suchen, S. 19)
Zwar bleibt er in den Wortfeldern immer im Bereich seines unmittelbaren Umfelds, dabei bedient er sich aber vielerorts einer metaphorischen Sprache, die, obwohl noch derb, immer wieder den Poeten durchscheinen lassen, der durch sein Leben nicht abgestumpft ist, sondern immer noch eine Vision, und eigentlich auch feines intuitives Gespür für Worte hat:
“Als der Tag dann geht, lösen wir die Spannung.
Im Fernsehen werden wir Zeugen des Alltags.
Ich weiß von nichts und buchstabiere Erlösung.
Diese Welt lebt in mir. Nicht andersrum.”
(Beute für die Ewigkeit, S. 47)
Im gesamten Band bleibt es glücklicherweise nie bei lethargischem Pessimismus. Ich empfinde eher, dass Böke in seinen Gedichten viel mehr auf der Suche ist, nach dem Schönen, einem Ideal, das zwischen all dem Schrott und den versoffenen Nächten zu finden ist. Er sucht nach dem einfachen und unkomplizierten Ideal: dem persönlichen Glück. Das ist meine Erachtens auch der Grund für ihn, zu schreiben: nicht vor der Undurchdringbarkeit des Lebens kapitulieren, sondern immer wieder werten, kritisieren, wahrnehmen und herausschreien.
“[…] ich bin ein Akrolith
mein pumpendes Ding ist unbekleidet und deshalb
aus Stein ich scheue die Fassaden des Lebens
und kotze mich frei.”
(Aus Stein, S. 38 f.)
Denn hier liegt für mich auch der eigentliche Stil, die Wiedererkennbarkeit dieser Texte: anders als Bukowski werden die Gedichte nie zur selbstinszenierten One-Man-Show, sondern sie sind immer unmittelbar, menschlich und fehlerhaft.
Fazit:
“Das Land gefährden” ist eine nüchtern-realistische Sicht auf den grauen Alltag. Urs Böke stellt in diesem (leider optisch viel zu) unscheinbaren Gedichtband ein faszinierendes Können zur Schau, das immer wieder reizt und fasziniert. Es sind Geschichten, aus dem Leben gerissen, durch Alkohol gefiltert und wieder in die Welt gespuckt.


kulturterrorismus.de (torben)

"Das Land gefährden" enthält so einige Zeilen, für die ich sehr viel geben würde, wenn ich sie geschrieben hätte. Wahrheit muss Wahrheit bleiben: Nicht alle Essener scheinen plump und wortkarg zu sein. Das Land gefährden - mit ein paar mehr Bökes wäre es tatsächlich möglich.

Stefan Heuer, SUBH

Wow, ich habe gerade voll einen gezogen bekommen, als ich an die einzige nicht isolierte Stelle an der Lampe gefasst habe. Um mich und mein Herz zu beruhigen, schnappe ich mir Bökes Gedichtband „Das Land gefährden“ und gebe mir einmal mehr die Texte von Herrn Böke, den ich nun auch schon fast 20 Jahre postalisch kenne.
Ich glaube, dass dieser Band das erste Mal 2002 erschienen ist. Was auffällt ist, dass Herr Böke heute vielschichtiger schreibt, fast möchte ich sagen, bedachter, aber dieses Wort will mir nicht über die Lippen. Also bleiben wir bei vielschichtiger.
Interessant ist es, wenn man sich selber in den Texten erkennt, wie z.B. bei „Streckenposten“, wenn die Angst vor den Schmerzen beim Aufprall mit dem Zug, einen Suizid auf den Gleisen verhindert.
Der Abschluss der meisten Texte ist vorwiegend ein Schlag in die Magengruben und auch fast immer gekonnt auf den Punkt kommend. Lässig fast: „Die meisten von euch/können mir gestohlen bleiben/was mich allein interessiert/sind eure Gedichte.“ (Mal wieder kein Anschluss) oder: „Als der Tag dann geht, lösen wir die Spannung./Im Fernsehen werden wir Zeugen des Alltags./Ich weiß von nichts und buchstabiere Erlösung./Diese Welt lebt in mir. Nicht andersrum.“ (Beute für die Ewigkeit).
Dabei reibt er auch das ein oder andere Mal richtig viel Salz in offen liegende Wunden. Und ich weiß ganz genau, dass er dabei lächelt. Ein bitteres Lächeln zwar, aber ein Lächeln.
Auch nach 9 Jahren haben seine Texte Kraft. Der Inhalt von so manchen Stauderflaschen ist in dieser Zeit die durstige Kehle hinunter geflossen und Böke sitzt immer noch vor der Maschine, hackt Wort für Wort in die Tastatur und erwartet nichts.
Lyrik kann mehr sein als das, was uns in Schulen, Universitäten und Literaturzirkeln als Gedichte verkauft wird. Urs Böke beweist es.

Jerk Götterwind auf lovelybooks.de

Urs Böke hat einen neuen Gedichtband herausgebracht: Das Land gefährden. Es sind 38 Gedichte die den Durchschnitt gefährden, oder das konservative Mittelmaß, sie gefährden unsere gespielte Routine und den Traum von Glück und Liebe, denn es fängt damit an, "zu versuchen einen Sinn // abzugewinnen betrachte aus dem Dickicht // heraus die Plakatwände die Werbung im // Fernsehen die makellosen Körpercretins // fühl die Schuppen deiner Kopfhaut (darunter // gähnt Leere) die Metastasen deines Geistes // höre deinen Tod auf leisen Sohlen anfangen // zu lachen anfangen durchzuhalten //
Er hält und blickt durch.

Hartmuth Malorny

"Böke schafft das, was nur ganz wenige Dichter schaffen: Seine Sprache ist lebending, besitzt genau die richtige Mischung aus Direktheit und stimmungsvollen Bildern, aus Realismus und einem guten Schuß Romantik (nicht lyrischem Kitsch!)...Seine Gedichte reißen einem ein Loch in den Bauch, schlagen einem vor den Kopf. Böke ist ein empfindsamer Beobachter, der diese Realität gnadenlos entlarvt. Ganz große Lyrik. Diese Gedichte sollten Bestandteil der Lehrpläne an deutschen Schulen sein."

VORSICHT SCHREIE

Sein Verleger nennt Böke den "einzigen Ruhrpott-Rimbaud." Denn Böke hat eine Vorliebe für Literatur zwischen Bukowski und Feingeist: "die Liebe du Arschloch krepiert an unseren/ versteinerten Herzen im urbanen Morast." Böke stand einst dem Social Beat nahe, schätzt Punkrock, verachtet die bürgerliche Mitte und mag das, was anderswo passiert.

Tuberkel Knuppertz in OX #47


Kommt Zeit, kommt Gefährdung
über den Gedichtband "Das Land gefährden" von: Urs Böke

 

 


Lange habe ich darauf gewartet: auf das neue Artefakt aus dem
Verlagshaus PO EM PRESS. Kommt Zeit, kommt Gefährdung! Es
ist so weit: Nun muß sich niemand mehr schämen, Poesie, Lyrik zu
lesen! Urs Böke hat es mit seinem neuesten Geichtband
"Das Land gefährden" vermocht, ein solch offenes Bekenntnis
 zu ermöglichen..
Böke führt durch Abstufungen der Verzweiflung, verweist darauf, daß Deutschland noch immer ein unerträglichesLand ist
 ("Ohnmacht ist nur Symptom das Leiden / heißt Deutschland" - S.21) und verweist Böll von der Theke.
Das beigefügte kundige Vorwort von Alexander Scholz läßt auf
Bestes hoffen, und man wird auch nicht enttäuscht.
Er sagt erfrischende Dinge, die wohl so mancher empfindende Mensch hierzulande denkt, doch nicht sagt:

"Wenn ich mich
hier umschaue
denke ich
zwangsläufig
an Massenmord" (S.42)
Hierzulande in Zombie-Land.
Böke berichtet mit der ihm eigenen
Direktheit von all diesen Dingen.
Er entführt uns dabei bis an den spanischen Grenzort Port Bou
(S.51).
Ich hatte den Ort früher (nämlich auch 1992 & danach) als
persönliches kleines Paradies kennengelernt, sowie als philosophisch
tragisch: Walter Benjamin beging  dort 1940
Selbstmord. Und nun: Auch hier Zombie-Terror, will sagen,
Guardia Civil - Fußtritte und mehr...
Bemerkenswert finde ich den Schreibstil der Gedichte: Die Sätze
enden nicht dort, wo auch die Zeile endet, sondern geben sich die
Hand, überlappen sich dachziegelartig und erzeugen
einen eigenen Rhythmus, der am Ende des jeweiligen Gedichts
trifft wir derglitzernde Edelstein mitten ins Nest der Elster hinein.
So z.B.:
"... (Tabus) sind nicht mehr zu brechen während das
Land am Namen krepiert warum nicht mal
Klappe halten und einfach nichts wagen?" (S.45)
Das ist literarisch gut und menschlich groß. Doch eben das erwartete
ich schon, bürgt doch der Name"Böke" stets
für Qualität!

 

Böke, Urs: Das Land gefährden. Gedichte. PO EM PRESS
Verlag, Pentling, 2002 EUR 6,90
ISBN: 3-933805-03-1

(Thomas Stemmer)

Paradise Lost

Urs Böke - Störung Mensch

Das hier vorgelegte Heft hat ein Gedicht von Hadayatullah Hübsch als Vorwort, in dem der Altmeister verkündet: "Es gibt ein Paradies auf Erden." Wie paßt das zusammen mit Bökes kompromißlosen Versen?! Er trauert den Zeiten nach, als man noch "verkatert die Werktage" beginnen konnte und beim Fernsehen gesteht er: "Ich kann nicht behaupten/ gegen Katastrophen zu sein." Hier hockt ein Misanthrop: "97 Prozent der Menschheit/ kann ich nicht leiden."

Der stärkste Text ist wohl diese Elegie 'Über die Dinge aus Eis', wo es u.a. heißt "daß Wohlstandsgier eine Art Rassismus ist." Den Autor treibt "einzig Weltekel" um, jeder Text scheint noch seine Verlorenheit zu steigern. Und wie verläuft das Leben überhaupt: "Wir sind/ ohne Arbeit//...jetzt liegen wir/ rum auf Matratzen wir lachen und/ ficken und saufen."

Leute, da hat einer die Restlebenskrise! Wenn er sich selbst am meisten stört, Bekannte hat, die voll auf Droge sind oder Selbstmord begehen. Dieses Heft ist ein uneingestandener Hilfeschrei. Hier herrschen Tristesse, Wut, Selbstaufgabe - Paradise Lost!

KULT

Mahlzeit in Essen - Stefan Heuer über

STÖRUNG MENSCH

Und als der erste Mond aufgeht, ist die Nacht bereits in vollem Gange. Nebelschwaden ziehen um die Häuser aus porösem Backstein, ein verkommenes Viertel, fürwahr.
Inmitten vernagelter Schaufenster und besprühter Fassaden: das Restaurant "Chéz Urs". Seit fünfzehn Jahren arbeiten der Geschäftsführer, der Koch und der Oberkellner Hand in Hand in Personalunion zusammen. Mehrere Umzüge, auf Schließungen folgten Neueröffnungen, Einträge in lyrische Speiseführer, und nun hier: Ein kurzes Nicken, dann fällt der Gastronom vom Hocker.
Zeitgleich nähert sich ein Paar der Lokalität, welches nicht zwingend der Klientel angehört, welche dieses Restaurant für gewöhnlich frequentiert. Sie, gepflegt und in teure Garderobe und Düfte gehüllt, er der souverän auftretende, feingliedrige Mann von galanter Erscheinung. Der Eindruck der Vertrautheit, den die beiden vermitteln, täuscht. Die Begleitagentur für Lyrikfreunde hat expandiert, ist nach Köln, Darmstadt und München nun auch in Essen aktiv.
Sie betreten das "Chéz Urs", in ihrer Deplaziertheit liegt ein Hauch von Exotik! Man lässt sich zu Tisch geleiten, setzt sich, bittet um die Karte; „Für meine Frau den zweitbesten Fisch“ – so etwas gibt es im "Chéz Urs" nicht! Keiner der männlichen Gäste ist je mit seiner Frau hier gewesen, und nicht einer würde es wagen, der ihn begleitenden Weiblichkeit die zweite Wahl auf den Teller zu fordern. Der Ober offeriert einen Aperitif. Der Mann wirft seiner Begleitung einen verschwörerischen Blick zu und entgegnet: „Kürzeste Prosa mit Kirsche auf Eis, das scheint mir ein gelungener Einstieg in den Abend zu sein.“
Der Ober schaut sich um, tritt einen Schritt an den Gast heran und flüstert: „Bedaure, mein Herr. Wir sind ein reines Lyrik-Restaurant.“ Dann setzt er sich in die Küche ab; ohne eine Speisekarte am Tisch gelassen zu haben.
Stille macht sich breit, urplötzlich ist die Frau gefordert; als professionelle Lyrik-Begleitung ist es an ihr, die Konversation in Gang zu halten. Ein Lächeln, dann läuft ihr Programm an: „Neulich war ich mit dem Enzensberger essen, köstlich! Fünf Gänge im Sonett, ein unter künstlerisch-historischen Gesichtspunkten vorzügliches Dinner. Mit Hebungen veredelte Suppe, mit gedünsteten Knüllversen korrespondierendes Haiku-Ratatouille, dazu gaumenschmeichlerisches Terzinen-Sorbet, auf der Zunge zergehende Assonanzen, betörende Jamben auf Kreuzreim-Dressing. Ein Traum!“
„Das klingt wunderbar, ganz wunderbar!“ entgegnet der Mann. „Auch Ihre zum Paarreim verschmelzenden Augen, ganz wunderbar. So langsam aber überkommt mich doch Hunger, realer Hunger.“
Wie auf ein geheimes Zeichen hin erscheint der Kellner, lächelnd überreicht er die Karte des Hauses. „Ein Bekannter hat mir das "Chéz Urs" empfohlen“, flüstert der Mann seiner Begleitung zu. „Er sagte, ich solle mich überraschen lassen.“
Drei Sekunden später ist die Überraschung perfekt. Die erwartet opulente Auswahl an ausgesuchten kulinarischen Exquisitäten besteht aus drei Wörtern, zwei von ihnen mit Bindestrich verbunden: Pommes rot-weiß.
Der Mann nickt, eine ihm selbst unerklärliche Bewegung. Dann sagt er: „Darf ich ehrlich sein? Ich hatte etwas anderes erwartet.“
„Das tun die meisten. Darf ich servieren?“
„Wir reden über frittierte Kartoffel-Stücke, übergossen mit fettiger Mayonnaise und mit künstlichen Aromen verfeinertem Ketchup?“
„Ganz richtig, der Herr!“
„Zwei Portionen, bitte.“
Cut: Zwei Stunden später sitzen sie noch immer am Tisch, die einzigen Gäste des Abends. Zwischenzeitlich hatten zwei weitere Mitarbeiterinnen der Begleitagentur die Räumlichkeiten betreten und die Speisekarte studiert, das Restaurant jedoch kopfschüttelnd wieder verlassen. Sie blicken sich an, und die Frau sagt: „Ein wenig mehr Kalorien als das Terzinen-Sorbet – aber wer mag das schon ständig essen?“
Wummms! Aus der Küche dringt das Geräusch eines umkippenden Barhockers, und nun lacht auch der Mann.